31. Januar 2021

#10 Sozialisierung

Das Sozialisierungstraining ist meiner Ansicht nach einer der wichtigsten Bereiche des Hundetrainings. Man kann fast schon pauschal behaupten, dass schlecht oder falsch sozialisierte Hunde in irgendeiner Form Ängste haben. Diese Ängste können sich beispielsweise in hysterischem Bellen oder stark ausgeprägtem Meideverhalten äußern.

Was Sozialisierung bedeutet

Um diese Frage zu klären, tauchen wir kurz in die Fachwelt ein. Hier wird nämlich zwischen Sozialisation und Habituation unterschieden. Die Sozialisation ist die Gewöhnung an die belebte Umwelt, wie beispielsweise an Menschen, andere Hunde, oder verschiedenste Tierarten. Die Habituation ist die Gewöhnung an die unbelebte Umwelt, dazu zählen Verkehrsmittel, Untergründe, Staubsauger usw. Ein Hund sollte im besten Fall mit allem, mit was er später einmal in Kontakt tritt, so früh wie möglich vertraut gemacht werden. Oder anders gesagt: zu jedem Lebewesen, Geräusch oder Gegenstand eine positive Erfahrung abgespeichert haben.

Die Sozialisierungsphase

Das positive Abspeichern gelingt am besten in der sogenannten Sozialisierungsphase eines Hundes. Die Forschung geht davon aus, dass diese wichtige Prägungsphase die ersten vier Lebensmonate eines Welpen andauert (Tendenz eher kürzer). Die wichtigste Teilphase findet bereits innerhalb der dritten bis fünften Lebenswoche statt. Hier ist noch die Hundemama und/oder der Züchter für die Sozialisierung zuständig. Einen Welpen sollte man nämlich frühestens mit der 8. Lebenswoche von der Mutter trennen. Die letzten Wochen der Sozialisierungsphase verbringen Welpen, die vom Züchter kommen dann bei ihrem neuen Besitzer. Ab hier ist dann auch der Besitzer für das weitere Sozialisierungstraining verantwortlich.

Selbst wenn du jetzt vielleicht denkst, du hast mit deinem Welpen kein Sozialisierungstraining gemacht: doch du hast. Jede Begegnung mit einem anderen Hund oder Menschen, jede Wahrnehmung eines Geräusches und jede positive oder negative Erfahrung mit seinem Umfeld tragen zur Prägung beziehungsweise Sozialisierung eines Hundes bei.

Sozialisierung von Welpen

Ist der Züchter sehr eifrig und nimmt das Sozialisierungstraining sehr ernst – natürlich ohne den Welpen dabei zu überfordern, ist es nicht nötig den Welpen so früh wie möglich zu sich zu holen. Hier reicht dann die 10. bis 12. Lebenswoche aus. Ist der Züchter so gar nicht mit dem Sozialisierungstraining vertraut, ist es empfehlenswert den Welpen mit der 9. oder 10. Lebenswoche zu sich zu holen und mit ihm das Sozialisierungstraining zu machen.

Das Sozialisierungstraining

Beim Sozialisierungstraining geht es darum, beim Hund positive Verknüpfungen mit Umwelteinflüssen herzustellen. Hat ein Welpe beispielsweise in seiner Prägungsphase nur positive Erfahrungen mit Kindern gemacht, wird er wahrscheinlich sein Leben lang keine Probleme mit Kindern haben. Lasse deinen Welpen entspannt und nach und nach alles kennenlernen: andere Hunde, Kinder, verschiedenste Menschentypen, Busse, Autofahren etc. Da das Sozialisierungstraining auf positiven Erfahrungen beruht, solltest du deinen Welpen immer positiv bestärken und ihn motivieren; mit deiner Stimme, mit Leckerli oder indem du als gutes Beispiel voran gehst. Hat dein Welpe seine Angst vor etwas überwunden und ist beispielsweise nach langem Zögern und vielen Versuchen an einer raschelnden Plastiktüte vorbeigelaufen, solltest du ihn ganz ausgiebig dafür loben. Du siehst also, du als Sicherheit und als Motivator bist der wichtigste Part im Sozialisierungstraining. Gibst du deinem Welpen Sicherheit, wird er dir vertrauen und ihr werdet ein gutes Team im Kampf gegen die „Angstmacher“ des Alltags. Zu den Beispielen, die ich bereits genannt habe schreibe dir zudem Checklisten, was deinem Welpen in seinem späteren Leben begegnen könnte und gestalte das Sozialisierungstraining dementsprechend.

Was schief gehen kann

Genauso leicht wie man einem Welpen eine positive Erfahrung mit seinem Umfeld ermöglichen kann, kann diese auch in die andere Richtung ausschlagen. Hier ein Beispiel von einem Worst-Case-Szenario. Ihr geht Gassi und dein Welpe sieht Kinder vor denen er sich fürchtet. Du gehst zu ihm in die Hocke (was vollkommen okay ist bis hierhin). Die Kinder kommen zu euch, weil sie deinen kleinen Hund so süß finden. Du nimmst deinen Welpen auf den Schoß, damit die Kinder ihn besser sehen und streicheln können. Dein Welpe mag zwar dabei ruhig bleiben aber was in ihm vorgeht wirst du nicht bemerken. Wenn er vor den Kindern schon aus der Entfernung Angst hatte, wird dies auch nicht besser, wenn diese ihn dann auch noch bedrängen. Auch wenn du vielleicht denkst, dass er durch dich ja beschützt ist, wird er dieses Erlebnis nicht positiv verknüpfen. Im Gegenteil, er wird in seiner Angst vor Kindern noch mehr gefestigt und sein Vertrauen zum Besitzer wird hierdurch möglicherweise auch einen Knacks bekommen. Denn es ist essentiell wichtig, dass ein Welpe von allein auf die Kinder zugeht. Die Kindern können sich beispielsweise in ein paar Metern Entfernung hinknien und so lange ruhig ihre Hand deinem Welpen entgegenstrecken, bis dieser sich traut daran zu schnuppern. Am besten wäre dann sogar, wenn er direkt aus der Kinderhand ein Leckerli erhält.

Deinem Welpen aus Angst etwas falsch zu machen seine komplette Umwelt vorzuenthalten darf und kann keine Option sein. Hunde, die im Welpenalter nichts kennengelernt haben, können meist nur schwer ein normales Hundeleben führen. Sie haben vor vielem große Angst und können zudem oft nur schwer sozialen Kontakte knüpfen, da sie das Sozialverhalten mit anderen Hunden nicht gelernt haben

Sozialisierung von erwachsenen Hunden

Mit einem erwachsenen Hund oder einem Junghund, der bereits die Sozialisierungsphase hinter sich hat, kann und sollte man das Sozialisierungstraining natürlich auch absolvieren. Je nachdem wie er diese Prägungsphase erlebt hat, kann das Sozialisierungstraining mal einfacher und mal schwieriger sein. Das ist von Hund zu Hund verschieden. Hat ein Hund beispielsweise in dieser wichtigen Phase zwar keine schlechten Erfahrungen gemacht, dafür aber generell und ständig viele neue Reize wahrgenommen, wird er sich leichter mit dem Sozialisierungstraining tun. Hund die aufgrund von schlimmen Erlebnissen in der Sozialisierungsphase, sehr skeptisch sind, brauchen oft viel Zeit und Vertrauen, um Ängste abzubauen. Ein schlechtes Erlebnis muss nicht immer „schlimm“ wirken. Hat sich ein Welpe beispielsweise mal vor einer raschelnden Mülltüte erschreckt, kann das schon schlimm genug gewesen sein, damit der Hund zukünftig Angst vor Mülltüten hat.

Sozialisierung von Tierschutzhunden

2020 habe ich mehrere Monate bei einer Tierschutzorganisation vor Ort in Bulgarien gearbeitet. Es gab dort Hunde, die sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben und extrem ängstlich waren aber es gab auch viele Hunde, die sehr aufgeschlossen waren. Trotzdem ist es für Hunde, die aus solchen Ländern dann nach Deutschland, Österreich, Holland usw. kommen ein riesen Kulturschock in ihrer neuen Heimat. Das meiste kennen sie nicht aus ihrem bisherigen Leben, wie zum Beispiel Menschenmengen, stark befahrene Hauptstraßen, Gassigehen, öffentliche Verkehrsmittel, Aufzüge usw. Für Tierschutzhunde ist es manchmal auch, je nach Prägung, ratsam sich einen Spezialisten mit ins Boot zu holen. Einen Hundetrainer, der sich mit Hunden aus dem Tierschutz auskennt. Einen Hundeschulen-Kurs mit seinem Hund zu absolvieren ist zudem für jeden ratsam. Es macht extrem viel Spaß als Team in solche Stunden zu gehen und während des Kurses immer noch enger zusammenzuwachsen.

Ansonsten brauchen Hunde aus dem Tierschutz, denen ihr neues Zuhause zu anfangs noch komplett fremd ist, erst einmal Zeit dort anzukommen und natürlich Zeit, vertrauen zu ihrer neuen Familie aufzubauen. Mit viel Zeit und Geduld sowie stetigem Training wird man jedoch nach und nach die Skepsis und Ängste abbauen können und mit der Zeit immer mehr zu einem Team verschmelzen. Tierschutzhunde kennen zudem keine intensiven menschlichen Bindungen und sind dafür aber umso dankbarer endlich ihren eigenen Platz und ihr Zuhause gefunden zu haben.

Danke für’s Lesen! Wir freuen uns wirklich immer tierisch über jedes Feedback

Lisa & Bonsay